Cahun-Lektüren III: Surrealismus und Surrealistinnen

Spiele der Frauen. Künstlerinnen im Surrealismus gelesen – neuerliche Lektüre zu Claude Cahun also. Nebst 1/ einem einführenden Essay über „surrealistische Traumfrauen“ versammelt der Band 2/ kurze Einblicke ins Leben und Werk einer ganzen Reihe, z.T. vergessener, surrealistischer Künstlerinnen. Mit der Gegenüberstellung rückt er das Schaffen jener wieder in den Blick, die im Werk der Surrealisten als Männerphantasien präsent sind und ordnet die Werke der Surrealistinnen in diesem Rahmen und als Eigenpositionierung gegen diesen ein.

Ein Anspruch, der dort besser gelingt, wo ihn das Buch aus dem konkreten Bildmaterial und den Positionierungen der Künstlerinnen heraus entwickelt. Der aus konzeptionellen Gründen gewählte recht biographische Zugang im 2. Teil des Bandes über die surrealistischen Künstlerinnen steht dem bisweilen auch im Weg. Stellenweise fällt der Text hinter den Surrealismus zurück: Wenn etwa den zerstückelten Körpern auf den Surrealistenbildern ein „Beharren auf dem ganzen Körper“ als vermeintliche „unbeschädigte Selbst-Betrachtungen“ gegenübergestellt wird, scheint dies entweder denkbar platt an Körpergliedern abgezählt oder einer naiven Form der Betrachtung anheim zu fallen. — Gerade hinter dem spielerischen, anarchischen Umgang mit dem Material, der durch Montageprinzip das Unheimliche und Traumungeheuerische in der Wirklichkeit sichtbar werden ließ, die Dinge gespenstig verlebendigte und Körper zu Dingen machte, steckte eine Qualität des Surrealismus. Ein Glücksversprechen scheint durch sie zwar auf. Aber gerade nicht weil seine Bilder die Nichtbeschädigung ihrer Subjekte im Bild herbeisehnten. Sondern eher umgekehrt: indem sie den Blick auf die Wunden und Versagungen aufdeckten, die jene Gesellschaft ihren Subjekten zumutet, in der mit Menschen wie mit Dingen verfahren wird.

Roter Faden des Einführungsessays im 1. Teil wiederum ist Lautréamont als Flaschenpost, die den Surrealismus (mit-)begründet hat: Die Gesänge des Maldoror, also das Werk von Isidore Lucien Ducasse (bekannt als Lautréamont), wurde 1917 zufällig in einer Pariser Buchhandlung wieder entdeckt und entwickelte sich zum Kultbuch der Surrealisten. In den Gesängen, die „den Weg in die Tiefen des Unbewussten gewagt und im Verlauf der ‚Gesänge‘ Nacht und Traum, Tod und Schlaf immer neue Facetten hinzugefügt“ (18) haben, findet eine Ästhetik des schönen Hässlichen ihren Platz und wird das Monströse besungen. Die Bedeutung Lautréamonts ist nicht von der Hand zu weisen und die Geburt des Surrealismus aus den Gesängen des Maldoror im Buch stimmig entwickelt. Allein: es entbehrt nicht einer gewissen Komik, dass ein Buch, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, die vergessenen Surrealistinnen zu rehabilitieren, streckenweise Seit um Seit alles von Lautréamont her begründet.

Unbenommen davon gibt das Buch einen guten Einstieg und hält manches Fundstück bereit. Jenseits der durch den Surrealismus transportierten Emanzipationsforderungen nach der Befreiung von gesellschaftlichen Konventionen ist das Problem der Nicht- beziehungsweise verspäteten Rezeption der Künstlerinnen möglicherweise auch in einer Verballhornung des Modus der künstlerischen Arbeitsteilung gut getroffen, wie ihn Meret Oppenheim ins Bild gefasst hat. Zu ihrem Aquarell von 1933 mit dem Titel Die Muse und ihr Genie heißt es auf Seite 90:

Auf ihm ist die Muse beladen mit dem Genie, das völlig durchgeistigt aus eigener Kraft nicht gehen kann und von der Muse auf den Kunstolymp getragen werden muss. Der fatalistische Satz „Dann leben wir eben später“, den die Künstlerin auf dem Aquarell notiert hat, vermittelt aber auch die Überzeugung von einem als unabwendbar empfundenen Schicksal. Es fällt ihr schwer, ihre Traurigkeit und Stimmungsschwankungen zu artikulieren, wie ein Brief an die Mutter vom November 1933 zeigt: Es gebe dafür keinen besonderen Grund, schreibt die Tochter, „ich habe eine Lebensanschauung, die in einem etwas schlechten seelischen Zustand sehr negativ wird, u. viel Kraft in Anspruch nimmt.“

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